Die wirtschaftliche Lage Russlands (Reprint from: Forschungsbericht des Instituts für Wirtschaftsforschung Halle - IWH, Heft 1, 2000)
Hubert Gabrisch and Peter Havlik
wiiw Research Report in German language No. 2000-04, April 2000
Die russische Wirtschaft hat im vergangenen Jahr die Folgen der Finanz- und Währungskrise vom August 1998 weitgehend überwunden. Dazu trugen bessere äußere Bedingungen bei, wie insbesondere die Beseitigung der Überbewertung des Rubels, der Anstieg des Rohölpreises und die Belebung der Weltkonjunktur. Aber auch die binnenwirtschaftlichen Rahmenbedingungen haben sich verbessert; die meisten makroökonomischen Indikatoren signalisieren ein deutlich abnehmendes Krisenpotential der Volkswirtschaft. Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) wuchs im vergangenen Jahr um 3,2%, nachdem es im Krisenjahr 1998 um nahezu 5% gefallen war. Dabei beschleunigte sich das Wachstum von Quartal zu Quartal. Die zwischenzeitlich gestiegene Inflationsrate nahm von Monat zu Monat ab und betrug im März 2000 nur noch 0,6% gegenüber dem Februar. Im Jahresdurchschnitt betrug die Inflationsrate gut 86%. Besonders positiv wirkten sich die inneren und äußeren Rahmenbedingungen für die Industrie aus, deren Bruttoproduktionswert um gut 8% zunahm. Nach der Abwertung des Rubels in den letzten Monaten 1998 stieg die Wettbewerbsfähigkeit heimischer Produkte, und die Nachfrage schwenkte von importierten zu im Inland produzierten Gütern um. Besonders deutlich kam die Importsubstitution im vergangenen Jahr der Konsumgüter erzeugenden Leichtindustrie zugute. Auf der Verwendungsseite der Volkswirtschaft expandierte der Außenbeitrag hauptsächlich durch den starken Rückgang der Importe. Die Handelsbilanz schloß 1999 mit einem Rekordüberschuß von knapp 35 Mrd. US-Dollar ab (1997 und 1998: 17 Mrd. US-Dollar). Dies trug entscheidend dazu bei, daß der traditionelle Überschuß in der Leistungsbilanz 25 Mrd. US-Dollar erreichte, nachdem 1998 erstmals ein Defizit drohte. Während jedoch die Exporte nahezu konstant blieben, sanken die Importe um etwa 18 Mrd. US-Dollar. Im vergangenen Jahr kam es erstmals seit 1990 zu einem Wachstum der Bruttoanlageinvestitionen (4,5%). Dies ist ein positives Zeichen, zumal auch in den ersten Monaten des Jahres 2000 die Bruttoanlageinvestitionen wuchsen, und zwar um 6%. Keinerlei Wachstumsimpulse gingen dagegen vom Verbrauch aus. Die Realeinkommen der Bevölkerung sanken im vergangenen Jahr um 15%, was sich in rückläufigen Einzelhandelsumsätzen fortsetzte. Der Anteil der Bevölkerung mit einem Einkommen unterhalb der Armutsgrenze stieg von knapp 24% auf 30%. Besonders betroffen von dem zeitweiligen Anstieg der Inflationsrate nach der Krise 1998 waren die Rentnerhaushalte. Allerdings ist für das laufende Jahr mit einer erheblichen Verbesserung ihrer wirtschaftlichen Lage zu rechnen. Der reale Staatsverbrauch stagnierte, und der föderale Haushalt erzielte einen Primärüberschuß. Trotz erster Anzeichen einer wirtschaftlichen Erholung stieg die Arbeitslosenquote von 11,9% jahresdurchschnittlich auf 12,5%. Die Erholung kam stattdessen in einem Anstieg der Beschäftigung von fast 1 Mio. Personen zum Ausdruck. Die Diskrepanz zwischen beiden Entwicklungen ist zum einen einem demografischen Faktor (Anstieg der Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter) und zum anderen einer höheren Erwerbsquote zuzuschreiben. Letzteres dürfte mit den rapide gefallenen Realeinkommen insbesondere der Rentnerhaushalte zu erklären sein. Folglich drängten mehr Personen auf den Arbeitsmarkt, sodaß zunächst die Arbeitslosigkeit und erst später die Beschäftigung stieg. Die Arbeitslosenquote lag im vierten Quartal 1999 um 1,8 Prozentpunkte niedriger als im ersten Quartal, sodaß auch hier die Belebung zum Ausdruck kam. Ein stagnierender Staatsverbrauch und gestiegene Einnahmen des Staates infolge der verbesserten Lage der Unternehmen ließen auch das Defizit im konsolidierten Haushalt auf 1% des BIP sinken. Geldpolitisch wurde ein leicht lockerer Kurs gefahren. Der nominale Wert des Rubels konnte auf dem geplanten Niveau gehalten werden, wobei die Zentralbank allerdings mehrmals intervenieren mußte. Der reale Kurs des Rubels blieb gegenüber dem US-Dollar weitgehend konstant, berück-sichtigt